Einführung: Warum Konflikte mehr sind als nur Meinungsverschiedenheiten
Konflikte begleiten uns im Beruf, in Beziehungen und im Alltag. Doch was passiert, wenn aus einer harmlosen Diskussion ein zerstörerischer Machtkampf wird? Friedrich Glasl, Pionier der Konfliktforschung, entschlüsselt mit seinem Modell der Konfliktdynamik die psychologischen und sozialen Mechanismen hinter Eskalationen.
Dieser Artikel bietet Ihnen nicht nur eine detaillierte Analyse von Glasls Modell der Konfliktdynamik, sondern auch praktische Werkzeuge, um Konflikte frühzeitig zu erkennen, zu steuern und nachhaltig zu lösen.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einführung: Warum Konflikte mehr sind als nur Meinungsverschiedenheiten
- 2 Was ist ein sozialer Konflikt? Eine Definition nach Glasl
- 3 Das Modell der Konfliktdynamik: Wie Konflikte eskalieren
- 4 Die äußere Dynamik: Verhalten & Effekte
- 5 Anwendung: Wie Sie Glasls Modell der Konfliktdynamik nutzen
- 6 Die systemische Perspektive: Konflikte als dynamische Prozesse
- 7 Psychologische Grundmechanismen der Konfliktdynamik
- 8 Praktische Anwendung: Konfliktdynamik steuern
- 9 Langfristige Prävention: Konfliktfähigkeit entwickeln
- 10 Fazit: Vom Kampf zur Kooperation
- 11 Buchempfehlung
Was ist ein sozialer Konflikt? Eine Definition nach Glasl
Laut Glasl (2004) entsteht ein sozialer Konflikt, wenn mindestens eine Partei eine Unvereinbarkeit in Denken, Fühlen oder Wollen erlebt – verbunden mit der Wahrnehmung, dass die andere Seite diese Beeinträchtigung aktiv verursacht.
Beispiel:
Ein Team-Mitglied fühlt sich ignoriert, weil Vorschläge in Meetings stets abgelehnt werden. Die innere Überzeugung „Meine Expertise wird nicht wertgeschätzt“ führt zu Frustration – der Konflikt beginnt im Kopf, bevor er sichtbar wird.
Das Modell der Konfliktdynamik: Wie Konflikte eskalieren
Glasls Modell zeigt, wie innere Prozesse (Wahrnehmung, Gefühle, Wille) und äußere Handlungen (Verhalten, Effekte) sich gegenseitig hochschaukeln.
1. Wahrnehmung: Wenn die Realität sich verzerrt
In Konflikten unterliegt unsere Wahrnehmung kognitiven Verzerrungen:
- Selektive Aufmerksamkeit: Wir registrieren nur noch, was unseren Ärger bestätigt.
- Schwarz-Weiß-Denken: Nuancen verschwinden – der andere wird zum „Feind“.
- Komplexitätsreduktion: Lösungsoptionen werden ausgeblendet.
Praxis-Tipp: Führen Sie ein Konflikt-Tagebuch, um subjektive Wahrnehmungen zu objektivieren.
2. Gefühle: Die emotionale Abwärtsspirale
Konflikte triggern intensive Emotionen:
- Sozialer Autismus: Empathie schwindet, eigene Bedürfnisse dominieren.
- Übererregung: Kleinigkeiten lösen Wutausbrüche aus.
- Selbsterfüllende Prophezeiung: Misstrauen erzeugt genau das Verhalten, das wir befürchten.
Studie: Laut einer Metaanalyse von Deutsch & Coleman (2000) sind emotional aufgeladene Konflikte um 70% schwerer zu deeskalieren.
3. Wille: Vom Ziel zum Machtkampf
Der ursprüngliche Konfliktgrund tritt in den Hintergrund – es geht nur noch ums „Gewinnen“:
- Radikalisierung: „Jetzt erst recht!“-Mentalität.
- Rigidität: Kompromisse werden als Schwäche interpretiert.
Glasls Warnung: Ab Stufe 7 der Eskalation (Drohstrategien) ist eine Lösung ohne externe Hilfe kaum möglich.

Die äußere Dynamik: Verhalten & Effekte
Verhalten: Von subtil zu destruktiv
- Nonverbale Signale: Augenrollen, verschränkte Armer.
- Eskalative Handlungen: Laut werden, Türen knallen.
- Kollektive Dynamik: In Teams entstehen „Lagerbildungen“.
Effekte: Die Lawine rollt
Jede Aktion löst eine Reaktion aus:
- Teufelskreis: Der Tischschlag führt zu Rückzug oder Gegenaggression.
- Systemische Auswirkungen: Konflikte vergiften das Arbeitsklima langfristig.
Anwendung: Wie Sie Glasls Modell der Konfliktdynamik nutzen
Für Führungskräfte:
- Frühwarnsignale erkennen (z. B. häufige Pausengespräche über denselben Kollegen).
- Strukturelle Prävention: Klare Kommunikationsregeln im Team etablieren.
Für Coaches & Mediatoren:
- Eskalationsstufen diagnostizieren (Glasl unterscheidet 9 Stufen).
- Interventionen passend zur Stufe wählen (z. B. aktives Zuhören in frühen Phasen).
Für Privatpersonen:
- Meta-Kommunikation: „Mir fällt auf, dass wir im Kreis argumentieren – können wir einen Schritt zurücktreten?“
Die systemische Perspektive: Konflikte als dynamische Prozesse
Friedrich Glasls Modell der Konfliktdynamik betrachtet Konflikte nicht als statische Ereignisse, sondern als sich ständig verändernde Prozesse. Diese systemische Sichtweise hilft zu verstehen, warum Konflikte oft so schwer zu kontrollieren sind – und warum einfache Lösungen wie „Redet doch einfach mal miteinander!“ häufig scheitern.
Wie Konflikte sich selbst verstärken: Feedbackschleifen
Ein zentrales Merkmal des Modell der Konfliktdynamik sind Rückkopplungseffekte:
- Positive Feedbackschleifen (Eskalation)
- Beispiel: Eine abwertende Bemerkung führt zu Gegenangriff → die erste Partei fühlt sich bestätigt und wird noch aggressiver.
- Effekt: Der Konflikt schaukelt sich immer weiter hoch.
- Negative Feedbackschleifen (Deeskalation)
- Beispiel: Eine Entschuldigung baut Spannung ab → die andere Seite signalisiert Kooperationsbereitschaft.
- Effekt: Der Konflikt verliert an Intensität.
Praxisbeispiel aus der Teamarbeit:
Ein Projektleiter kritisiert öffentlich einen Mitarbeiter (Eskalation). Der Mitarbeiter reagiert mit Dienst nach Vorschrift (passiver Widerstand). Der Projektleiter interpretiert dies als Faulheit und erhöht den Druck – ein klassischer Teufelskreis.
Die Rolle von Drittparteien: Wie Umstehende Konflikte beeinflussen
Glasl betont, dass Konflikte nie isoliert betrachtet werden dürfen. Auch unbeteiligte Personen wirken als:
- Verstärker (durch Parteinahme oder Lästereien).
- Deeskalatoren (durch Vermittlung oder Unterbrechung des Musters).
Studienergebnis: Teams mit einer starken „Konfliktkultur“ (d. h. klaren Regeln im Umgang mit Streit) eskalieren seltener (Tuckman & Jensen, 1977).
Psychologische Grundmechanismen der Konfliktdynamik
1. Kognitive Dissonanz: Warum wir an Konflikten festhalten
Leon Festingers Theorie erklärt, warum Menschen selbst in destruktiven Konflikten verharren:
- Je mehr Ressourcen (Zeit, Energie, Emotionen) wir investieren, desto schwerer fällt es uns, einzulenken.
- Folge: Wir rechtfertigen unser Verhalten immer stärker („Der andere hat angefangen!“).
2. Gruppendynamische Effekte: Wenn Teams in Konflikte geraten
- Wir-gegen-die-Mentalität: Kollegen schließen sich zu Lagern zusammen.
- Gruppendenken: Kritische Stimmen werden unterdrückt.
- Soziale Identität: Der Konflikt wird zum Teil der Gruppenidentität („Wir sind die Unterdrückten“).
Forschung: Sherifs Robbers-Cave-Experiment (1954) zeigte, wie schnell künstlich erzeugte Konkurrenz zu Feindseligkeiten führt.
Praktische Anwendung: Konfliktdynamik steuern
Früherkennung: Warnsignale erkennen
- Sprachliche Hinweise: Absolute Formulierungen („Nie!“, „Immer!“), Generalisierungen.
- Nonverbale Signale: Vermehrte Distanz, ironisches Lächeln, Augenrollen.
- Strukturelle Faktoren: Häufige Themenwiederholung in Meetings.
Interventionsstrategien je nach Konfliktphase
- Frühe Phase (sachlich-emotional)
- Aktives Zuhören
- Ich-Botschaften
- Gemeinsame Faktenbasis schaffen
- Mittlere Phase (persönlich-angriffig)
- Strukturierte Gesprächsführung (z. B. nach Harvard-Konzept)
- Metakommunikation („Wie können wir aus diesem Muster aussteigen?“)
- Späte Phase (destruktiv)
- Externe Mediation
- Klare Grenzen setzen (z. B. Time-outs)
Langfristige Prävention: Konfliktfähigkeit entwickeln
Für Organisationen:
- Konfliktkultur etablieren: Regeln für konstruktive Auseinandersetzungen.
- Feedback-Systeme: Regelmäßige, wertschätzende Rückmeldungen.
Für Individuen:
- Selbstreflexion: Eigene Konfliktmuster analysieren (z. B. Rückzug oder Angriff?).
- Emotionsregulationstechniken: Atemübungen, kognitive Umstrukturierung.
Fazit: Vom Kampf zur Kooperation
Konflikte als Chance: Glasls Modell der Konfliktdynamik zeigt, Konflikte folgen vorhersehbaren Mustern – doch dieses Wissen macht sie kontrollierbar. Indem Sie innere und äußere Dynamiken trennen, gewinnen Sie Handlungsspielraum.
Glasls Modell der Konfliktdynamik macht deutlich: Konflikte folgen systemischen Gesetzmäßigkeiten. Wer diese Dynamiken versteht, kann gezielt eingreifen – bevor die Spirale der Eskalation sich unaufhaltsam dreht.
Letzte Erkenntnis: Die meisten Konflikte entstehen nicht durch bösen Willen, sondern durch unbewusste Mechanismen. Genau hier setzt wirksames Konfliktmanagement an.
Quellen:
- Glasl, F. (2013). Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte und Berater.
- Fisher, R. & Ury, W. (2011). Das Harvard-Konzept. Campus Verlag.
- Deutsch, M. & Coleman, P. (2000). The Handbook of Conflict Resolution. Jossey-Bass.
Dieser Artikel erschien zuerst in leicht geänderter Form auf meinem anderen Blog „Coaching mit Pferden Harz“ unter www.coaching-mit-pferden-harz.de/konfliktdynamik.
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